Individuelle Kundenanforderungen im Maschinenbau – Feintool im Interview

Vom Familienunternehmen zum Weltmarktführer – es ist eine beeindruckende Geschichte, die die Feintool Gruppe in den letzten 55 Jahren geschrieben hat. Mit rund 2000 Mitarbeitenden ist das Technologieunternehmen weltweit führend in der Entwicklung von Feinschneidanlagen sowie in der Produktion einbaufertiger Feinschneid- und Umformkomponenten für anspruchsvolle Industrien, insbesondere für die Automobilbranche. Mit Standorten in Europa, Japan, China und den USA ist Feintool in den wichtigsten Automobilmärkten der Welt vertreten. 

Im folgenden Interview erläutert Dr. Stefan Etzold, Head of Global Sales and Marketing bei der Feintool Technologie AG, seine Einschätzungen zur Modularisierung und deren Auswirkungen sowie zur Digitalisierung im Vertrieb.

Dr. Stefan Etzold

Zur Person: Dr. Stefan Etzold ist Head of Global Sales and Marketing bei der Feintool Technologie AG und Executive Director bei Feintool Shanghai

Herr Dr. Etzold, wie gehen Sie als Maschinenbauer mit individuellen Kundenanforderungen um?

Vorweg zur Präzisierung: Feintool versteht sich in erster Linie als Technologieunternehmen und nicht als Maschinenbauer. Den eigentlichen Pressenbau haben wir teils ausgelagert. Zu Ihrer Frage: Wir verfügen über modular aufgebaute Basislinien welche im Rahmen eines Baukastens erlauben, die individuellen Kundenanforderungen zu erfüllen. 

Wie bekommen Sie den Konflikt zwischen Standardisierung und Individualisierung in den Griff?

Wie eingangs erwähnt, bedienen wir die Anforderungen unserer Kunden über ein Portfolio aus Baureihen von Maschinen mit unterschiedlichen Leistungsklassen. Die kundenspezifischen Anforderungen betreffen hauptsächlich Zusatzoptionen, die Automatisierung sowie die Schnittstellen, also die Einbindung der Maschinen in die kundenseitige Prozesskette.

Welche Rolle spielen dabei Produktbaukästen und das Variantenmanagement?

Das Denken in Baukästen und Modulen spielt für uns eine bedeutende Rolle. Analog zur Automobilindustrie verfolgen wir eine Plattformstrategie. Die zentralen Module unserer neuen Maschinen sind weitgehend standardisiert und folgen einer Baukasten-Denkweise. Kundenspezifische Anpassungen bedienen wir weitgehend im Rahmen dieser plattformbasierten Baukastenvarianten. Darüber hinaus versuchen wir im Gespräch die Kundenbedürfnisse wann immer möglich mit unseren bereits erarbeiteten Lösungen abzudecken und den Kunden von den damit verbundenen Vorteilen wie zum Beispiel Kosteneffizienz, zu überzeugen. 

Unsere Angebote für den Kunden bestehen also in erster Linie aus einer guten Beratung und Umsetzung der Bedürfnisse unserer Kunden mit unserem Baukasten mit definierten Standards.

Nimmt die Bedeutung des Variantenmanagements für Feintool zu?

Ganz klar: Bei aller Globalität, die Bedürfnisse unserer Kunden sind je nach Kulturkreis und Land sehr unterschiedlich. Dies berücksichtigen wir zum Beispiel auch mit einer eigenen Pressenlinie für Asien, welche wir in Japan bauen.

Welche Herausforderungen gab oder gibt es bei der Umsetzung der Baukasten-Philosophie?

Historisch bedingt hatten und haben wir teils noch unterschiedliche Pressenlinien und Konzepte. Die Bereinigung des Produktesortimentes und die Überführung in einheitliche Plattformen sind mit hohen Kosten und personellen Aufwendungen verbunden. Bei Feintool sind wir jedoch davon überzeugt, dass sich dies langfristig ausbezahlt.

Was bringt die Modularisierung für Feintool und für die Kunden? Kann man die Effekte messen?

Das kann ich an einem einfachen Beispiel erläutern. In einer Maschinenbaureihe konnten wir die Montagezeiten durch geschickte Modularisierung glatt um 20% reduzieren. Das hat gleich zwei positive Effekte. Auf der einen Seite reduziert das die Montagekosten signifikant. Auf der anderen Seite erzielen wir eine um Wochen kürzere Lieferzeit. Und das ist natürlich ein großer Vorteil für unsere Kunden.

Herr Dr. Etzold, spürt Feintool den Trend zur Digitalisierung im Vertrieb von Feinschneidpressen überhaupt?

Auch das kann ich mit ‚Ja‘ beantworten. Stichworte hierzu sind: Präsentations- und Animationstechniken, Produktkonfiguratoren und nicht zuletzt unser eShop für Ersatzelemente und die Anbindung der Pressen an unser Wartungsnetzwerk für die präventive Wartung und Unterstützung der Kunden.

Geht der Druck von den Kunden aus? Wie äußert sich das?

Ja, jedoch in unterschiedlicher Ausprägung. Unsere Kunden erwarten die Antworten auf ihre Anfragen heute quasi in Echtzeit. Lange Rückfrage- oder Angebotsklärungszyklen empfinden sie als völlig inakzeptabel. Gerade in Asien, wo seit längerem ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt, merkt man das deutlich. Das geht soweit, dass manche Kunden sich unsere Maschinen am liebsten im Internet selbst konfigurieren möchten.

Was die Möglichkeiten der neuen Technologien anbelangt, sind wir jedoch auf der Verkaufsseite gefordert, den Kunden die Möglichkeiten und den Nutzen unserer neuen Produkte und Dienstleistungen aufzuzeigen.

Unterscheiden sich denn die vertrieblichen Anforderungen aus den asiatischen und europäischen Märkten?

Ich glaube nicht, dass sich die Anforderungen grundsätzlich unterscheiden. Es ist vielleicht eine Art ‚digitaler Reife‘, in der sich die Akteure unterscheiden. Wenn ich unsere Kundenbeziehungen in weiten Teilen Asiens und hier speziell in China betrachte, dann sind die beteiligten Menschen sowohl auf der Verkäufer- als auch auf der Einkäufer-Seite in der Regel unter 40 Jahre alt. Diese Nutzergruppe bevorzugt digitale Kommunikationsmittel und erwartet schlichtweg entsprechend gut funktionierende Werkzeuge an der Schnittstelle Kunde/Lieferant. In Mitteleuropa ist das aufgrund der Altersstruktur der beteiligten Akteure noch nicht ganz so weit.

Jenseits von Modernität – geht denn von der Digitalisierung auch konkreter Nutzen aus?

Ganz bestimmt. Auch hier ist die ‚Durchlaufzeit‘ ein entscheidender Punkt. Mit den entsprechenden Werkzeugen zur Konfiguration und Angebotserstellung können wir dem Kunden in Asien vor Ort schnell das passende Angebot unterbreiten. Zeitaufwändige Rückfragen zum zentralen Vertriebsinnendienst können entfallen. Entscheidend ist auch hier sofortige Verfügbarkeit der ‚richtigen‘ Daten. Ich habe selbst vor Ort erlebt, wie schmerzhaft es ist, wenn man dem Kunden nicht binnen kürzester Zeit das gewünschte bereitstellen kann. 

Sehen Sie darüber hinaus weitere Vorteile?

Ein weiterer Effekt, den wir mit dem Konfigurator erzielen können, ist das Training von Mitarbeitern. Gerade von solchen Kollegen, die dezentral arbeiten. Über den Konfigurator können wir das Wissen über neue Produkte und neue Features sehr viel schneller im Feld verbreiten. Gerade die jüngeren Kollegen nutzen den Konfigurator, um sich mit den Neuheiten vertraut zu machen. Damit steigt die Qualität des in den Vertriebsorganisationen verfügbaren Produktwissens deutlich.

Zuletzt noch eine unvermeidliche Frage in Richtung ‚Industrie 4.0‘. Sehen Sie hier auch bereits Auswirkungen der Digitalisierung auf Ihr Geschäft?

Sie haben vielleicht unser neues Angebot ‚FeinMonitoring‘ wahrgenommen. Wir können unsere Feinschneidpressen heute mit einem System zum Online-Monitoring ausstatten. Das System sammelt bestimmte Betriebsparameter und hilft über geschickte Analysen, Stillstände und Störungen der Maschinen zu reduzieren. Darauf aufbauend bieten wir dem Kunden bereits heute Services an, die die Produktivität seiner Maschinen signifikant steigern können. 

Werden diese Angebote vom Kunden bereits genutzt? Wie sehen Sie die Entwicklung?

Das Angebot wird vom Kunden sehr gut aufgenommen. Die Nutzung dieser zusätzlichen, digitalen Services steht am Anfang, wir erwarten hier noch eine deutliche Zunahme. Besonders deshalb, weil wir in Referenzszenarien bereits heute signifikante Produktivitätssteigerungen zeigen können. 

Sehr geehrter Herr Dr. Etzold, ich bedanke mich für das Gespräch.

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