Die Herausforderungen von Variantenvielfalt
Viele Unternehmen stehen vor der Herausforderung, mit einer stetig wachsenden Variantenvielfalt in ihrem Produktportfolio umgehen zu müssen. Die Idee von modularen Produkten ist naheliegend und drängt sich geradezu auf. Oft existieren Baukastensysteme allerdings nur in den Köpfen der Konstrukteure und des Vertriebs. In den IT-Systemen sind diese jedoch nicht adäquat in modularen Datenstrukturen und ebenso nicht durchgängig über Abteilungsgrenzen hinweg abgebildet.
Die Folge sind unterschiedliche Sichten auf die Produktvielfalt, gestückelte Prozesse mit manuellen Schnittstellen und Daten-Mappings, Medienbrüche zwischen nicht synchronisierten IT-Systemen und eine hohe Fehleranfälligkeit. Diese Herausforderungen kosten nicht nur Zeit und Geld, sondern gefährden auch die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
In diesem Artikel stellen wir die Wichtigkeit von durchgängigen Baukastenstrukturen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg heraus. Außerdem erhalten Sie konkrete Empfehlungen, wie Sie genau das erreichen – mit Fokus auf eine hohe Variantenvielfalt.
Der Wert von Variantenvielfalt für das Unternehmen
Bevor wir ins Detail gehen, starten wir mit der folgenden Frage: Was bringt eine Variante dem Unternehmen?
Oft hört man abenteuerliche Geschichten über Einschränkungen der Variantenvielfalt. Das Produktmanagement möchte möglichst nur Standard, der Vertrieb dagegen fühlt sich in seinen Möglichkeiten eingeschränkt. Es kommt zu Grabenkämpfen zwischen den Abteilungen.
Schauen wir uns das Ganze von außen an: Der Wert der Variante entsteht also dadurch, dass sie ein zusätzliches Verkaufsargument für den Markt liefert. Dieser Wert muss allerdings in Relation zu dem Aufwand stehen, den ich als Unternehmen gehen muss, um die Variante anbieten und fertigen zu können. Und so viel sei vorweggenommen: Dies hat viel mit Wiederholung und Automation zu tun.
Es geht daher nicht darum, keine oder möglichst wenige Varianten zu haben. Varianten können echte Wettbewerbsvorteile sein! Aber sie sollten effizient durch die gesamte Wertschöpfungskette laufen. Das Verwenden, Produzieren und Anbieten von Varianten sollte eine bewusste, gesteuerte Entscheidung sein.
Jetzt können wir uns der Frage widmen, warum Variantenvielfalt eigentlich weh tut? Nun, im Wesentlichen sehen wir da zwei Gründe:
- Ohne vorausschauende und kontinuierliche Planung entsteht oft Wildwuchs.
- Ohne administrative Vorbereitung ist der operative Prozess oft ineffizient.
Ohne vorausschauende und kontinuierliche Planung entsteht oft Wildwuchs
Wo entstehen neue Produktvarianten? Damit ist hier gemeint: Wo wird die Entscheidung zur Entstehung einer neuen Variante getroffen?
Die Antwort kann im schlechten Fall lauten: „Wenn der Geschäftsführer das sagt, dann machen wir das“. Bei Unternehmen mit mehr Struktur kann man den Ort der Entscheidung auf zwei wesentliche Quellen eingrenzen:
- Im Produktmanagement. Hier entstehen Varianten strategisch und proaktiv durch Fragestellungen wie: Was braucht der Markt? Was können wir als Hersteller besonders gut? Wo liegt die Schnittmenge, und wie können wir diese Varianten herstellen und vermarkten?
- Im Vertrieb. Hier entstehen Varianten operativ und reaktiv durch konkrete Kundenanfragen, auf die mit einer individuell passenden Produktvariante geantwortet wird.
Das Spannungsfeld ist offensichtlich. Das Produktmanagement arbeitet an der Steuerung. Mit möglichst geringem Aufwand soll ein möglichst breiter Markt gewonnen werden. Der Fokus liegt auf den Produkten, nicht auf individuellen Entwicklungen. Der Vertrieb arbeitet in der Regel mit dem Anspruch: „Je mehr Umsatz generiert wird, desto besser“. Dabei ist die Frage, ob dieser Umsatz dem Unternehmen tatsächlich guttut, oft nachgelagert.
Beide Orte der Entscheidung sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. An beiden Stellen können ohne vorausschauende und kontinuierliche Planung viele neue Produkte / Varianten entstehen, die zu den genannten Herausforderungen führen.

So werden oft alte Produkte nicht abgekündigt. Dadurch wächst das Produktportfolio, wird unübersichtlich und verwässert. Eine solide Portfolioplanung wird auch erschwert, wenn neue Aspekte spontan in bestehende Produktfamilien integriert werden. Das passiert oft in Form eines Projekts und in diesen Momenten steht die Lösung eines individuellen Wunschs im Fokus. Das passiert im Vertrieb und im Produktmanagement auf Basis eines Kundenwunsches oder spontaner Entscheidungen. Ohne ein klares Verständnis des Produkts und seines Variantenraums entsteht also Wildwuchs.
Ohne administrative Vorbereitung ist der operative Prozess oft ineffizient
In diesem Abschnitt möchte ich mit folgender Frage einsteigen: Wo tut Variantenvielfalt in der Regel weh? Vorne in der Wertschöpfungskette (also in der Planung) oder weiter hinten (also im operativen Tagesgeschäft)?
Ich denke, die meisten Unternehmen werden jetzt sagen: Natürlich hinten im operativen Prozess!
Warum ist das so? Nun, die Ursache Nummer eins für Schmerzen mit Variantenvielfalt liegt in fehlenden, veralteten, oder einfach nicht passenden Daten. Diese Daten werden allerdings in den meisten Fällen nicht im gleichen Prozessschritt erhoben, in dem sie verarbeitet werden, sondern ein paar Schritte vorher.
Sucht man in dem Prozessschritt nach Optimierungen, in dem der Schmerz auftritt, so resultiert das in der Regel in Workarounds. Diese machen das Leben vielleicht kurzfristig leichter, sorgen aber sicher nicht für langfristige Lösungen! Anders ausgedrückt: Eine lokale Optimierung bekämpft nur die Symptome, nicht die Ursache!

Die Symptome für Schmerzen durch Variantenvielfalt sind:
- Scheinsicherheit
Schnell wird eine neue Variante angeboten nach dem Motto, „so etwas ähnliches haben wir schon oft gemacht, das kann nicht so schwer sein“. Das Ausarbeiten dauert dann aber doch deutlich länger, weil diese „Ähnlichkeit“ nicht dokumentiert ist. Wird eine Variante in den IT-Systemen neu angelegt, so müssen verschiedene Aspekte beleuchtet werden: Konstruktiver Aufwand, vertrieblicher Nutzen, Auswirkungen auf Produktion, Logistik, usw. Irgendwo in dieser Kette hat das „ähnliche Neue“ dann doch ungeahnte Auswirkungen.
- Lange Durchlaufzeiten
Das ist vermutlich der Klassiker. Alles dauert länger, weil Kompensationsleistungen aufgrund fehlender Informationen, unklarer Zuständigkeiten, usw. nötig sind. Hochbezahlte Mitarbeiter gehen dann auf die oft langwierige Suche nach notwendigen Informationen. Es gibt unnötige Klärungsschleifen und redundante Datenerhebungen.
- Medienbrüche und Redundanzen in den Daten
Wenn jede Abteilung für sich arbeitet, entstehen in den verwendeten IT-Systemen Insellösungen. Häufig sogar „mit Ansage“, weil beispielsweise die Fertigung „das Geschwätz aus dem Marketing“ nicht interessiert und im ERP-System die „harten Fakten“ liegen. Dennoch müssen Insellösungen redundant aufgebaut werden. So entstehen Verzögerungen im operativen Prozess und zusätzlicher Aufwand im administrativen Prozess. Zudem sind die Datenstrukturen dieser Inseln nicht oder schwer aufeinander abbildbar. Damit fehlt jede Grundlage für Automation.
Wer einen reibungslosen operativen Prozess im Umgang mit neuen Produktvarianten möchte, der muss in den administrativen Prozessen entsprechend vordenken!
Häufig passiert genau das jedoch nicht, denn der Aufwand für den Aufbau guter Baukasten- und Datenstrukturen ist durchaus hoch. Er lohnt sich allerdings schnell, denn bei häufig wiederholten Problemstellungen führt eine Investition in administrative Prozesse zu Einsparungen in den operativen Prozessen. Das wird umso deutlicher, wenn wir uns vor Augen führen, wie viel höher die Anzahl der Datennutzer gegenüber der Anzahl der Datenpfleger ist. Allein das Verhältnis von Konstrukteuren als Datenquelle zu Vertrieblern als Datennutzer ist ca. 1 zu 10 bis 20!
Wie sieht eine gute Planung aus?
Eine vorausschauende und kontinuierliche Planung funktioniert gut, wenn man ein klares Bild des gewünschten Variantenraumes hat, und diesen aktiv steuert. Das bedeutet vor allem: Alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette haben das gleiche Bild! Dieses gemeinsame Verständnis ist wichtiger als eine definierte Vorgabe, die von einer Stelle an die anderen weitergegeben wird. Denn in jenem Fall werden sich nicht alle Beteiligten in dem Bild wiederfinden. In ein gutes, gemeinsames Bild gehört auch eine abteilungsübergreifende Klärung der Fragen: Was ist Standard? Was ist „Sonder“? Dann steuern alle in die gleiche Richtung und handeln nicht entgegengesetzt.
Vorausschauende Planung
Organisatorisch muss man die richtige Antwort auf die gegebene Variantenvielfalt finden. Kleine Mengen an Varianten können auftragsneutral vorausgeprägt werden. Größere Mengen bildet man typischerweise im Baukasten ab, welcher auftragsspezifische Varianten mit geringem Aufwand ermöglicht. Darüber hinaus muss auch der Gegenwert der Variante stimmen. Entweder die Variante selbst hat einen entsprechenden Preis, oder man verkauft sie in großer Stückzahl. Niemand käme auf die Idee, eine kundenindividuelle Variante für wenige Euros in Losgröße 1 zu fertigen.
Je größer die Varianz, desto kleiner ist oft die Losgröße. Gerade im Sondermaschinenbau ist das immer wieder ein Thema. Für diese Fälle ist eine individuelle Entwicklung ein sinnvoller Weg. Denn wo keine Wiederverwendung vorhanden ist, da lohnt es sich in der Regel nicht, in Baukastenstrukturen zu investieren. Aber auch in diesem Fall sollte man der Individualität nicht freien Lauf lassen. Man sollte sich klarmachen, welcher Teil zum gewünschten Produktportfolio gehört, und welcher nicht. So entscheidet man sich bei der Frage, ob eine individuelle Variante entstehen soll, auch mal für ein „nein“. Bei dem Rest sollte man, soweit möglich, einen Baukasten zumindest für einen Teil der Produkte / Varianten vordenken. Viele Sondermaschinenbauer setzen auf einen 50-80 % Standardbaukasten und nur der Rest wird auf Anfrage individuell ausgeprägt.
Kontinuierliche Planung
Das zweite Schlüsselwort bei der Planung ist „kontinuierlich“. Denn sicher ist: Es wird Veränderungen im Produktportfolio geben! Man kann nicht alles vorhersehen und das ist auch ok so. Umso wichtiger ist, sich kontinuierlich mit dem Zielbild der gewünschten Variantenvielfalt zu beschäftigen und den Status Quo zu hinterfragen. Dann hat man eine gute Basis, um abteilungsübergreifend Variantenvielfalt zu steuern – strategisch geplant und operativ entlang der gesamten Wertschöpfungskette umgesetzt.
CPQ als Kernelement der durchgängigen Wertschöpfungskette
Wer keine kundenindividuellen Produkte anbietet und fertigt, der kann die Vorgaben aus dem Produktmanagement direkt in die Produktion weitergeben und dort abarbeiten. Für den Fall, dass individuelle Varianten aus dem Vertrieb kommen, haben wir eine weitere Station in der Wertschöpfungskette. Auch diese muss in den Gesamtprozess integriert werden, um eine (automatisierte) Durchgängigkeit zu erreichen.
Eine CPQ-Software (Configure-Price-Quote-Software) kann diese Lücke sehr gut schließen. Sie bekommt die Vorgabe aus dem Produktmanagement in Form eines Baukastens als Input. Innerhalb des durch den Baukasten vorgegebenen Variantenraums läuft nun jede kundenindividuelle Anfrage standardisiert durch den weiteren Prozess. Auch Anpassungen und Erweiterungen, die im Baukasten nicht vorgedacht sind, können an dieser Stelle ergänzt werden. In dem Fall sorgt die CPQ-Software dafür, dass die Erweiterung zusammen mit dem auf Standard basierenden Teil weitergegeben wird – quasi als ein gemeinsamer Kanal, der beides für die nachfolgenden Schritte bündelt.

Das Thema Durchgängigkeit ist der Knackpunkt an dieser Stelle! Wir wollen verhindern, dass die Vorgaben und Ergebnisse von Station zu Station manuell übersetzt werden müssen. Daher ist es wichtig, dass die Datenstrukturen zueinander passen und (automatisiert) aufeinander abgebildet werden können.
- Damit Produktbeschreibungen von allen gleichartig interpretiert werden, braucht es eine semantische Vorgabe. Die Definition von Merkmalen bietet sich hier an: Einzelne Merkmale werden mit einem Typ und bestimmten Metadaten vordefiniert, z.B. Einheiten oder vorgegebenen Werten. Über die Vorgabe, dass Produkte, Baugruppen und Teile bestimmte dieser Merkmale besitzen und mit gültigen Werten beschrieben werden, stellt man die semantische Interpretierbarkeit sicher. Dafür gibt es verschiedene Begriffe, wie zum Beispiel Sachmerkmalsleiste oder Klassifikation.
- Die einzelnen Abteilungen haben ein unterschiedliches Informationsbedürfnis. So ist vertrieblich eher der Einsatz eines Produkts interessant, zusammen mit kundensichtbaren Funktionen. In der Fertigung sind dann konkrete Teilenummern, Stücklisten, Arbeitsschritte, usw. wichtig. Diese Sichten gehören alle in die digitale Abbildung des Produktbaukastens! Sie dürfen aber keine Inseln sein, denn das verhindert eine automatisierte Übersetzung.
Mit anderen Worten: Der Kern einer durchdachten abteilungsübergreifenden Abbildung von Variantenvielfalt ist das digitale Datenmodell, welches auf mehrere IT-Systeme verteilt angelegt wird. Wer an dieser Stelle, proaktiv in den frühen Phasen, die richtigen Entscheidungen trifft, der sorgt dafür, dass Variantenvielfalt weniger weh tut.
Wie wirkt sich Variantenvielfalt bei Ihnen aus?
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Head of Consulting, encoway GmbH
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